Günstig wohnen auf Kosten der Suchenden

Das Auseinanderklaffen von Bestands- und Angebotsmieten führt zu einem Lock-­in-­Effekt und einer Fehlallokation von Wohnraum. Die Leidtragenden sind Haushalte auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung.

Hohe Zahlungsbereitschaft

Wer heute in einer der begehrten Agglomerationen des Mittellands eine Mietwohnung sucht, braucht viel Geduld und ein dickes Portemonnaie. Ein Blick in die aktuellen Suchabodaten in der Stadt Zürich zeigt, auf welche Niveaus die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager inzwischen gestiegen ist. So ist heute die Hälfte aller Haushalte, die auf der Suche nach einer 4-Zimmer-Wohnung sind, bereit, mehr als 3500 CHF pro Monat auszulegen (brutto, d. h. inkl. Nebenkosten, da in den Suchabos das gesamte Wohnbudget eingegeben wird). Bei den 3- und 2-Zimmer-Wohnungen liegen die entsprechenden Werte bei 2800 bzw. 2100 CHF (vgl. Abbildung 1). In Anbetracht der Tatsache, dass das mittlere verfügbare Haushaltseinkommen in der Schweiz bei weniger als 7000 CHF pro Monat liegt, wird klar, dass sich Wohnen in Zürich nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten kann.

Günstige Bestandesmieten

Ein Blick in die Mietpreiserhebung der Stadt Zürich macht allerdings deutlich, dass sich die Wohnkosten für den allergrössten Teil der Zürcher Mieterhaushalte in einem durchaus bezahlbaren Rahmen bewegen. In den gemeinnützigen Wohnungen (rund 27% des Mietwohnungsbestandes) bezahlen die Mieterinnen in einer 4-Zimmer-Wohnung im Mittel gerade einmal 1295 CHF pro Monat (netto, d. h. ohne Nebenkosten). Für die 3- und 2-Zimmer-Wohnungen liegen die entsprechenden Werte bei 964 bzw. 868 CHF. Bei den übrigen Wohnungen (rund 73% des Mietwohnungsbestandes) liegen die Preise zwar höher, aber immer noch auf einem erstaunlich bescheidenen Niveau: Der mittlere Mietpreis für eine 4-Zimmer-Wohnung liegt bei 2171 CHF pro Monat, die entsprechenden Werte für die 3- und 2-Zimmer-Wohnungen liegen bei 1712 bzw. 1466 CHF pro Monat (vgl. Abbildung 2).

Teure Angebotsmieten

Der Vergleich der Bestandsmieten mit aktuellen Angebotsmieten in der Stadt Zürich macht deutlich, wie gross die Unterschiede inzwischen geworden sind. Die Hälfte aller angebotenen 4-Zimmer-Wohnungen sind zu einem monatlichen Mietpreis von mehr als 3550 CHF ausgeschrieben, netto versteht sich. Bei den 3- und 2-Zimmer-Wohnungen liegen die mittleren Nettomietpreise im Angebot bei 2790 bzw. 2160 CHF pro Monat. Die Mietpreise der auf dem Markt angebotenen Wohnungen liegen damit gut 50% über den Mieten im Bestand (ohne Berücksichtigung der gemeinnützigen Wohnungen). Oder andersrum formuliert: Der effektiv bezahlte mittlere Mietpreis für eine 4-Zimmer-Wohnung im Bestand ist praktisch gleich hoch, wie der Preis für eine 2-Zimmer-Wohnung im Angebot.



Lock-in-Effekt

Dieses Auseinanderklaffen von Bestands- und Angebotsmieten hat Konsequenzen. Wer in einer bezahlbaren Wohnung wohnt, wird kaum je wieder ausziehen, selbst wenn sich die Lebensumstände verändern. Wie die Raiffeisen-Studie «Immobilien Schweiz | 1. Quartal 2024» sehr schön aufgezeigt hat, liegt die durchschnittliche Verweildauer in den Grosszentren inzwischen über jener in den ländlichen Regionen, und die mittlere Mietwohnungsfläche pro Person steigt mit dem Alter laufend an, von knapp 40 qm bei den 50-Jährigen auf über 60 qm bei den 80-Jährigen. Dies ist eine direkte Folge davon, dass sich das Umziehen in eine kleinere Wohnung preislich nicht rechnet.



Teufelskreis

Der geschilderte Mechanismus ist selbstverstärkend. Je deutlicher die Angebotspreise über den Bestandspreisen liegen, desto kleiner wird der Anreiz, eine zu grosse, schon lange bewohnte Wohnung gegen eine kleinere Wohnung einzutauschen, desto knapper wird das Mietwohnungsangebot und desto stärker steigen die Angebotspreise. Dass es sich dabei keineswegs um eine unbedeutende Nebenwirkung des heutigen Mietrechts handelt, hat die bereits angesprochene Raiffeisen-Studie aufgezeigt. Eine Überwindung des geschilderten Lock-in-Effekts hat das Potenzial, 17 Mio. qm Mietwohnungsfläche freizusetzen, die fast 450 000 Menschen neuen Wohnraum bieten könnten. Natürlich ist das eine theoretische Überlegung, aber sie zeigt auf, wie mit «einer effizienteren Wohnraumnutzung […] der zunehmenden Knappheit stark entgegengewirkt werden» könnte.



Ein möglicher Ausweg

Viele der Massnahmen, die von Bundesrat Parmelins rundem Tisch zur Wohnungsknappheit vorgeschlagen wurden, weisen zwar in die richtige Richtung, sind in Anbetracht der absehbaren Ungleichgewichte aber lediglich Tropfen auf den heissen Stein. Noch weniger zielführend sind die Rufe nach einer Einschränkung der Zuwanderung auf Seite rechten und jene nach einer Verstaatlichung des Wohnungsmarktes auf Seite der linken Polparteien. Vorschläge für eine sinn- und wirkungsvolle Revision des Mietrechts liegen seit Jahren auf dem Tisch. Um die Diskussion darüber zu deblockieren, wäre es wohl wichtig, sich einzugestehen, dass die Hauptverantwortlichen an der heutigen Situation weder die «bösen» Zuwanderer noch die «gierigen» Investoren sind, sondern wir selber, die wir seit Jahren in zu grossen und zu günstigen Wohnungen wohnen letztlich auf Kosten jener, die sich auf Wohnungssuche begeben müssen.

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